1 Jahr Finnland: 2008 - 2009

Terve, liebe Leute,

jetzt, da mein Europäischer Freiwilligen-Dienst schon vor 3 Wochen geendet hat, ist wohl der geeignete Zeitpunkt, euch Interessierten einen Einblick in mein Leben als Europäischer Freiwilliger zu geben.

Aber erstmal sollte ich mich vorstellen. Ich bin Dennis, 19 Jahre alt, und komme aus dem kleinen Dorf Ascheberg im Münsterland. Von September 2008 bis Juni 2009 absolvierte ich meinen Europäischen Freiwilligen-Dienst im Hansa Youth Center in Kokkola, einer mittelgroßen Stadt an der finnischen Westküste.

Angefangen hat das Ganze damit, dass ich im Winter letzten Jahres völlig planlos war, was meine Zukunft anging. Für einen Studiengang konnte und wollte ich mich noch gar nicht entscheiden, ausgemustert war ich auch schon – ein Auslandsjahr wäre dagegen genau richtig!
Also recherchierte ich im Internet, was für Möglichkeiten es gab; und prompt stieß ich im Internet auf den Europäischen Freiwilligen-Dienst, der einfach wie zugeschnitten für meine Interessen war.
Das Bewerbungsverfahren lief ziemlich schnell und problemlos ab. Großen Dank dafür geht an meine Sendeorganisation Roter Baum e.V., die mir immer zügig antworteten und mir halfen, wo sie nur konnten.
Nachdem ich um die 15 Bewerbungen nach Skandinavien geschickt hatte, kam Anfang Juni die Bestätigung aus Finnland: die nächsten 9 Monate würde ich im NAPA Youth Information Center des Hansa Youth Centers verbringen.

Am 26.9.09 begann meine Reise. Nach 3-stündigem Flug erreichte ich schließlich den winzigen Flughafen in Kokkola und wurde dort von meinem zukünftigen Mentor und ehemaligen Freiwilligen empfangen.

Die ersten Tage waren sehr interessant, aber auch nicht gerade einfach. Simon, ein deutscher Ex-Freiwilliger aus meinem Projekt, zeigte mir die Innenstadt und wir begannen, mein recht dürftig ausgestattetes Studentenzimmer mit Mobiliar auszustatten. War schon ein komisches Gefühl, zu wissen, dass man die nächsten 9 Monate hier verbringen würde, vor allem, wenn man allein noch völlig hilflos war und niemanden kannte.

Nach dem ersten Wochenende dann der Montag – mein erster Arbeitstag im Hansa Youth Information Center: traditionell läuft so etwas am neuen Arbeitsplatz immer etwas förmlich und steif ab. Glücklicherweise nicht dieses Mal – ich kam mit meinen Kollegen hervorragend zurecht und konnte im Lauf der Zeit sogar Freundschaften schließen.

Meine Arbeit in den ersten Tagen war noch recht eintönig und beschränkte sich darauf, an der Website (www.kenuti.fi) zu werkeln, meine eigenen Ankommensberichte zu erstellen und erst einmal mein ganzes Umfeld kennen zu lernen. Mit den Wochen kamen dann Routinearbeiten dazu, sodass ich besser beschäftigt wurde.

Als Lieblingsarbeit sollte sich jedoch die Arbeit mit den Jugendlichen herausstellen. Grundsätzlich gehörte es zwar nicht zu meiner Jobbeschreibung, aber mir wurden von meinem Mentor Freiheiten gelassen, als er feststellte, wie gut ich mit ihnen umgehen kann. Die finnischen Jugendlichen waren zwar zuerst sehr schüchtern und scheuten Kontakt, im Laufe der Monate kamen wir uns jedoch näher und wir unterhielten uns ausgiebig.

Einmal pro Woche unternahmen wir spezielle Aktivitäten mit einer Gruppe von sozial benachteiligten Jugendlichen.
Überhaupt hatte ich die Möglichkeit, meine eigenen Fähigkeiten in das Projekt einfließen zu lassen. Freitags beispielsweise organisierten wir Band-Nachmittage und übten Gitarre. Zudem besuchte ich mehrere Schulklassen und berichtete über den Europäischen Freiwilligen-Dienst und meine damit verbundenen Erfahrungen.
Von Zeit zu Zeit assistierte ich in verschiedenen Camps, die vom hier ansässigen Organisationspunkt für Soziale Arbeit organisiert wurden und half bei verschiedensten Aktivitäten.

Als großer Erfolg jedoch sollte sich ein ganz besonderes Projekt herausstellen. Sieben verschiedene Cottages Villa Elbas sollten neu gestrichen werden und aus diesem Grund wurde eine Gruppe aus Jugendlichen versammelt, die verschiedene Vorschläge machen sollten. Um es kurz zu machen – alle unserer Ideen wurden angenommen und werden momentan noch in die Tat umgesetzt .
Im Großen und ganzen kann ich mit meiner Arbeitstätigkeit in Kokkola also zufrieden sein.

Noch besser als meine Arbeits- war jedoch meine Freizeit, die ich in vollen Zügen genossen habe. Schon in der ersten Woche habe ich andere Freiwillige aus Österreich, Kenia, Bulgarien, Kanada, der Slowakei, Frankreich, Italien und auch Liechtenstein kennen gelernt und wir unternahmen viel miteinander. Neben Dinner- und DVD-Abenden bereisten wir an den Wochenenden Finnland (Der Weihnachtsmann in Rovaniemi sieht überhaupt nicht so aus, wie man sich das vorstellt!)

Weihnachten verbrachten wir als 15-köpfige Gruppe in einem Cottage im finnischen Wald. Nach einer gemeinsamen Sauna präsentierte jeder ein Gericht der eigenen Wahl aus seiner jeweiligen Heimat: neben Truthahn (Kanada) und bulgarischer Gemüsesuppe (Bulgarien) entschied ich mich für traditionellen deutschen Sauerbraten – und der gefiel .
Freizeitaktivitäten im Winter sind ja grundsätzlich etwas anders, vor allem in Finnland. Während man in Deutschland noch ohne Probleme draußen Fußball spielen konnte, ist das bei -15° schon um einiges schwieriger – wir trafen uns zwar so oft wie möglich und mieteten eine Sporthalle, aber es blieb trotzdem noch genügend Zeit fürs Reisen nötig.

Nach unserem etwas enttäuschenden Mid-term-training ( das On-Arrival-Training dagegen war echt toll und wir haben viele Freunde gefunden) besuchten wir uns bekannte österreichische Freiwillige in Talinn, Estland.
Unglaublich, wie unterschiedlich ein nur 200 km entferntes Land sein kann! Und wie sehr einem die Vorzüge, aber auch Nachteile Finnlands vor Augen geführt werden.

Vorteile Finnland:
- Bessere Infrastruktur
- Bessere Englischkenntnis der Landsleute
- Mehr Schnee im Winter

Vorteile Estland:

- Billiger. Viel billiger.

Es war trotzdem ein toller Urlaub! Talinn ist eine sehr schöne Stadt, und dank unserer Freunde lernten wir all die Insider-Lokalitäten kennen, die man als normaler Tourist nie kennen lernen würde. Einer der besten Urlaube aller Zeiten!

Ein weiteres Highlight war der 1. Mai – Vappu. In Finnland erhält jeder Jugendliche zu seinem Abschluss einen weißen Hut – „valkoinen pippo“ – und an diesem besonderen Tag trifft man sich, seine Mütze tragend, in Parks und auf öffentlichen Plätzen, um die finnische Sonne zu genießen und sich natürlich (!) zu betrinken. Wir nutzten die bekannten Möglichkeiten des Couchsurfings (www.couchsurfing.com) und feierten ein Wochenende lang in der Großstadt Turku, hauptsächlich im Stadtpark. Bis dahin war uns gar nicht bekannt, dass es überhaupt so viele Finnen gibt! Wenn man sich nach 6 Monaten an die geringe Einwohnerdichte gewöhnt hat, kommt man sich unter Tausenden von Menschen wirklich unwohl vor. Und bzgl. Dem Vorurteil, dass Finnen viel trinken: es stimmt. Finnen trinken wirklich viel, und manchmal sogar zu viel. Es ist normal, betrunkene Finnen allen Alters über die Straße torkeln zu sehen, und das, besonders zu Vappu, zu allen erdenklichen Tageszeiten.

Als „Skandinaver auf Zeit“ ist natürlich noch ein Ziel verpflichtend: Stockholm. Zwar pflegt man als traditioneller Finne ein durch Konkurrenz gezeichnetes Verhältnis zu Schweden, aber im Mai wollten wir den Mythos Schweden doch noch selber erkunden  . Also fuhren wir nach dem Abenteuer Turku per 10-stündiger Fähre ins Nachbarland.
Stockholm war auch beeindruckend, unter anderem wegen der vielen schönen Menschen. Außerdem wird einem erst einmal bewusst, wie schwer Finnisch im Vergleich zu Schwedisch ist. Ich beherrsche zwar ein paar Brocken Finnisch und wenn langsam gesprochen wird, komm ich auch gedanklich mit, aber es ist schon sehr schwierig gewesen, es zu lernen . Wenn man’s aber erstmal drauf hat, ist es das echt wert! Und es ist vor allem außergewöhnlich.

Um zum Thema Wetter zu kommen. Als ich im September nach Finnland kam, konnte ich die Warnungen meiner Freunde und Verwandten noch überhaupt nicht nachvollziehen. Noch schien ja die Sonne, und kein bisschen Schnee war zu sehen. NOCH nicht. Im Oktober ging es dann aber schon los mit dem Schnee. Und glaubt mir, früher oder später leidet man unter der mangelnden Sonne und selbst das sonnigste Gemüt wird zumindest von einem Anflug von Depressionen geplagt . Das Ganze hat auch sein Schönes und Melancholisches, aber manche Menschen verbringen 2/3 ihres Tages im Bett.

Wenn dann jedoch im Mai der Frühling kommt, nimmt fast jeder Finne eine 180°-Charakterwende; es wird entschieden weniger geschlafen, man geht raus, in die von Finnen so geliebte Natur und genießt sein Leben.
Der Sommer in Finnland mit seiner übermäßigen Licht und seiner Sommersonnenwende ist unglaublich beeindruckend und ich möchte jedem empfehlen, seinen Sommerurlaub in Finnland zu verbringen – am liebsten in einem finnischen Mökki (Sommerhaus) mit Sauna und angrenzendem See.

Und damit eine weitere finnische Tradition, in die ich mich verliebt habe, die Sauna.
Jedes Haus, dass sich selbst Haus nennt, hat zumindest eine Sauna inbegriffen.
Saunieren ist ein gesellschaftliches Event, dass bevorzugt mit den engsten Freunden gefeiert wird. Unsere Freundesgruppe hat als Ritual eingeführt, mindestens einmal pro Woche zusammen saunieren zu gehen. Ich vermisse es schon jetzt, nach 3 Wochen im Heimatland…

Was lässt sich also nach 9 Monaten in Kokkola sagen? Die wohl beste Zeit meines Lebens . Ich würde es sofort wieder tun und bin Dankbar für alle Erfahrungen, die ich sammeln durfte.
Ich kann jedem einen EFD in Finnland nur empfehlen!